COVID-19 – Durch „Höhere Gewalt“ in die Haftung
…warum „höhere Gewalt“ kein Allheilmittel ist.
Mit Einstufung des Corona-Virus als Pandemie wurde es amtlich, dass es sich bei COVID-19 (oder „Corona“) keinesfalls um ein lokales, sondern tatsächlich um ein weltweites Problem – um eine Herausforderung aller – handelt. Nahezu unvorbereitet sind wir mit den Nachteilen der Globalisierung (in ihrer Reinform) konfrontiert und in vielen Fällen (offenkundig) auch überfordert.
Die nationalen Regierungen üben sich im notwendigen Aktionismus und setzen nahezu stündlich (ohne Zweifel erforderliche) Maßnahmen zur Eindämmung der Ausbreitung. Dies stets mit Fokus auf den Schutz ihrer Bevölkerung. Unternehmer sind in diesen Zeiten um ein adäquates Krisenmanagement bemüht und gezwungen, an mehreren Fronten gleichzeitig zu kämpfen. Es geht insbesondere um die Aufrechterhaltung des Betriebes, den Schutz der Arbeitnehmer, die Sicherung notwendiger Liquidität und die Abwehr vertraglicher Schadenersatzansprüche aufgrund von Nichtleistung.
In diesem Beitrag widmen wir uns bewusst der Frage, wie es sich mit Fällen „höherer Gewalt“ bzw. „force majeure“ im Zusammenhang mit der Leistungserbringung und Erfüllung vertraglicher Verpflichtungen verhält und warum es sich hierbei um kein Allheilmittel handelt.
Inhaltsverzeichnis
COVID-19 und „pacta sunt servanda“
Ohne dem Ergebnis dieses Artikels vorgreifen zu wollen, darf ich dennoch bereits zu Beginn festhalten, dass allgemein gültige Grundsätze des Vertragsrechts, insbesondere „pacta sunt servanda“ (Verträge sind bindend), auch in Zeiten von COVID-19 nicht ihre Wirksamkeit bzw. Geltung verlieren.
Das ABGB (oder in Deutschland das BGB) büßen durch neue gesetzliche Maßnahmen und Regelungen nichts an ihrer ureigentlichen Bedeutung ein. Zudem bilden unsere oberstgerichtlichen Entscheidungen auch weiterhin den Maßstab bei der Beantwortung kritischer, rechtlicher Fragen. Das ist wichtig und richtig! Das geschriebene und entschiedene Recht erweist sich in diesen Fällen zum einen als Anker und zum anderen als Kompass, sollte man Zweifel über die Richtigkeit/Angemessenheit von Entscheidungen (den eingeschlagenen Weg) haben.
Ob wir uns in Krisen richtig verhalten, zeigt sich naturgemäß immer erst im Nachhinein. Dennoch verhalten wir uns (möglichst) richtig, wenn wir uns auch in herausfordernden Zeiten der vorhandenen Instrumente (insbesondere Gesetze und Entscheidungen unserer Gerichte) bedienen.
COVID-19 – der Elefant im Porzellanladen
Die letzten Tage waren herausfordernd und bedurften daher einer Vielzahl an wichtigen sowie notwendigen Entscheidungen. Die Schwierigkeit lag und liegt darin, adäquate Maßnahmen zu treffen, die zum einen den Fortbestand des Betriebes und somit die Arbeitsplätze sichern, und zum anderen den Vorgaben der jeweiligen – nationalen – Behörden entsprechen. Aufgrund der Tatsache, dass die Gefahr der Ausbreitung von COVID-19 bis nach Europa – und somit in unser tägliches Leben – Großteils unterschätzt wurde, wurde dem Erfordernis eines entsprechenden Krisenmanagements nur eingeschränkt Aufmerksamkeit geschenkt. Es ist bei vielen Unternehmen nahezu offensichtlich, dass sie mit ihren Entscheidungen einfach nachhinken und im Krisenmanagement nicht entsprechend nachkommen. Während große Unternehmen die Krise erfolgreicher managen, erscheinen kleinere Unternehmen oftmals überfordert. Das darf keineswegs als Vorwurf verstanden werden, zumal für viele Unternehmen der Alltag bereits ausreichend herausfordernd ist.
Es zeigt lediglich (und das erlaube ich mir zu behaupten), wie unvorbereitet und verletzlich die Wirtschaft in unvorhersehbaren Krisenzeiten ist. Nahezu erscheint es, als verhielte sich das Corona-Virus wie der vielzitierte „Elefant im Porzellanladen“.
COVID-19 – die Renaissance des Arbeitsrechts
In Zeiten der Krise wachsen wir zusammen und bieten einander Unterstützung. Insbesondere erweisen sich Behörden, Kammern und Berater (insbesondere Rechtsanwälte1
) als notwendige Informationsquellen und Instrumente zur Risikominimierung. Auch 2imRecht hat sich mit diesen Themen bereits beschäftigt und – in Zusammenarbeit mit Rechtsanwältin Mag. Christina Traxler von LeitnerLaw – bereits entsprechend informiert2 .
Der Fokus liegt bei allen vermehrt im Bereich des „Arbeitsrechts“ – Kündigung, Kurzarbeit-Neu, Förderungen, Zeitguthaben3 etc. – und im Bereich der Liquiditätssicherung – Förderungen, Garantien, Kredite, etc. In diesen Fällen scheinen Unternehmen in der Regel gut (bzw. relativ gut) beraten zu sein und werden meines Erachtens auch entsprechend sorgsam durch die Krise begleitet. Inwiefern und ob die getroffenen Maßnahmen in bürokratischem Wildwuchs enden, wird sich zeigen. Dennoch, es wird auch hier (und davon bin ich überzeugt) die notwendige Unterstützung geben.
Die Kenntnis im Arbeitsrecht erweist sich aktuell als gewinnbringend und risikominimierend.
COVID-19 – im Eiltempo zum Vertragsbruch
Während Unternehmer bei den „großen“ Fragen der Krise also entsprechend beraten und fachmännisch begleitet werden, fischen sie in vertragsrechtlichen Angelegenheiten oftmals im Trüben. Das führt in vielen Fällen zu einem Wildwuchs an Informationsschreiben und Anzeigen, die bedauerlicherweise oftmals die Einstellung der vertraglich geschuldeten Leistungen aufgrund von „höherer Gewalt“ bzw. „force majeure“ zum Inhalt haben. Hierbei werden Unternehmer nicht müde, die Einstellung der Arbeiten/Belieferung mit den strikten Maßnahmen der Regierungen und dem Schutz der eigenen Mitarbeiter – alles aufgrund von COVID-19 – zu begründen.
Die unreflektierte und überstürzte Einstellung der vertraglich geschuldeten Leistungen stellt jedoch im schlimmsten Fall einen entsprechenden Vertragsbruch dar, welcher zu – nicht unerheblichen – Pönalezahlungen (insbesondere bei Verzug) und hohen Schadenersatzansprüchen (bis hin zu Rücktritten von Verträgen) führen kann. Und auch führen wird!
Getrieben durch äußere Einflüsse, sehen sich viele Unternehmen/Unternehmer gezwungen, Maßnahmen ohne vorherige Abstimmung mit ihren Vertragspartnern zu setzen und vertrauen in diesen Fällen (irrend) auf den Schutz von „höherer Gewalt“ bzw. „force majeure“.
Die Macht der Kommunikation
Ungeachtet der nachstehenden – rechtlichen – Ausführungen ist es mir jedoch ein besonderes Anliegen, auf die Notwendigkeit eines rechtzeitigen Dialoges zwischen den Vertragsparteien hinzuweisen. In Zeiten wie diesen erweisen sich Bauernregeln, wie „durch’s Reden kommen d’Leut z’samm“, als richtig und wertvoll. Kennt man die Maßnahmen und Pläne der Kunden bzw. Lieferanten, kann man seine eigenen Handlungen hierauf abstimmen bzw. gemeinsam an einem Weg aus der Krise arbeiten.
Die Gefahr „höherer Gewalt“ bzw. „force majeure“
Insbesondere international agierende Unternehmen sehen sich im Fall einer globalen Krise und den damit einhergehenden Schwierigkeiten bei der Leistungserbringung mit besonderen Fragen des Vertragsrechts konfrontiert. Viele Verträge (insbesondere bei grenzüberschreitenden Rechtsgeschäften) beinhalten für den Fall unvorhersehbarer und unabwendbarer Ereignisse und einer hieraus resultierenden Unmöglichkeit zur Leistungserbringung (Fälle sogenannter „höherer Gewalt“) entsprechende Regelungen.
In diesen Regelungen/Klauseln geht es oft um folgende Punkte:
- Dauer der Unmöglichkeit, bis eine der Parteien/beide Parteien vom Vertrag zurücktreten oder diesen kündigen können
- keine Haftung für Schäden (Aufwendungen/Mehrkosten, etc.), die aufgrund „höherer Gewalt“ entstehen
- keine Verzugsfolgen (somit auch keine Pönalen) und entsprechende Anpassung von Terminen/Fristen, etc.
Derartige Bestimmungen listen in der Regel – exemplarisch – Fälle „höherer Gewalt“, wie zB Krieg, Naturgewalten, Streiks, Atomunfälle, etc. auf. Nur wenige Verträge führen jedoch auch die „Pandemie“ bzw. die „Epidemie“ als Grund für den Einwand „höherer Gewalt“ bzw. „force majeure“ an. Das mag durchaus darin begründet liegen, dass das derzeitige tatsächlich nicht als realistisches Szenario (und somit als Risiko) bei der Erstellung entsprechender Klauseln erkannt bzw. betrachtet wurde.
„force majeure“ als Generalklausel
Erkennt die vertragliche Bestimmung generell in der Unvorhersehbarkeit und Unabwendbarkeit eines Ereignisses einen Fall der „höheren Gewalt“, besteht kein Zweifel, dass auch eine Pandemie hierunter subsumiert werden kann. Eine taxative Aufzählung von Beispielen – ohne diesen Anwendungsfall explizit anzuführen – schadet daher grundsätzlich nicht.
„force majeure“ in Verträgen des „common law“
Bei Verträgen, die auf Basis des „common law“ abgeschlossen wurden, bedarf es einer genaueren Überprüfung. Aufgrund der Tatsache, dass derartige Rechtsordnungen (insbesondere in UK und USA) im Zusammenhang mit Verträgen über kein bzw. nur eingeschränktes, geschriebenes Recht (die klassischen Gesetze) verfügen, kommt dem Inhalt der Verträge daher besondere Relevanz zu. Hier gilt in der Regel nur das, was die Parteien im Vorhinein vereinbart haben – ein Grund, warum Verträge im „common law“ oftmals (gefühlt) ausufernd formuliert und verfasst sind.
ABER: Ein rechtliches „Auffangnetz“ durch Gesetze, wie in unserer Rechtsordnung, sucht man in diesen Rechtsordnungen vergeblich. Nur wenn sich die Vertragsparteien auf „force majeure“-Klauseln (inklusive Pandemie) oder eine „Generalklausel“ mit taxativer Auflistung geeinigt haben, besteht die rechtlich wahrscheinliche Möglichkeit, die Pandemie als Fall „höherer Gewalt“ bzw. „force majeure“ einwenden zu können bzw. als Einwand akzeptieren zu müssen.
Keine vertraglichen Regelungen zur „force majeure“
Regeln Verträge, die auf Basis von „common law“ geschlossen wurden, den Fall von „höherer Gewalt“ bzw. „force majeure“ nicht, ist grundsätzlich davon auszugehen, dass die Einstellung/Unterbrechung der Leistungserbringung keinesfalls gedeckt ist und somit auch nicht gerechtfertigt erscheint. Verträge, denen zB österreichisches Recht zugrunde liegt, genießen den Schutz gesetzlicher Bestimmungen 4 und/oder höchstgerichtlicher Rechtsprechung.
COVID-19 – ein Fall von „höherer Gewalt“ bzw. „force majeure“?
Der Umstand, dass man in Verträgen entsprechende Fälle von „höherer Gewalt“ bzw. „force majeure“ geregelt hat, bedeutet in den konkreten/gegenständlichen „Anwendungsfällen“ noch lange nicht, dass COVID-19 auch tatsächlich hierunter subsumiert werden kann. Es ist in vielen Fällen sogar zu bezweifeln, dass die gegenständliche Pandemie die Unternehmen in „Pausch und Bogen“ leistungs- und/oder haftungsfrei stellt.
Der Teufel liegt (wie so oft) im Detail.
Eine – den vertraglichen „force majeure“-Klauseln (wie oben bereits ausgeführt) entsprechende – gesetzliche Bestimmung suchen wir in unserem ABGB vergeblich, sodass wir uns zur Auslegung entsprechender Vereinbarungen „ähnlicher“ Bestimmungen bzw. höchstgerichtlicher Rechtsprechung bedienen müssen.
§ 1447 ABGB regelt keinen Fall der vorübergehenden Unmöglichkeit, sondern ausschließlich Fälle absoluter, nachträglicher Unmöglichkeit 5.
„Der zufällige gänzliche Untergang einer bestimmten Sache hebt alle Verbindlichkeit, selbst die, den Wert derselben zu vergüten, auf. Dieser Grundsatz gilt auch für diejenigen Fälle, in welchen die Erfüllung der Verbindlichkeit, oder die Zahlung einer Schuld durch einen anderen Zufall unmöglich wird. In jedem Falle muss aber der Schuldner das, was er, um die Verbindlichkeit in Erfüllung zu bringen, erhalten hat, zwar gleich einem redlichen Besitzer, jedoch auf solche Art zurückstellen oder vergüten, dass er aus dem Schaden des anderen keinen Gewinn zieht.“
Es wird offensichtlich, dass sich diese Bestimmung ausschließlich auf die nachträgliche, vom Schuldner nicht zu vertretende – gänzliche (und somit absolute) Unmöglichkeit der Leistungserbringung bezieht. Die Unmöglichkeit kann in diesem Fall eine rechtliche („Unerlaubtheit“) oder eine subjektive (nur der Schuldner kann die Leistung nicht erbringen) sein. Im Fokus liegt hier jedoch die „höhere Gewalt“ als Ursache eines dauerhaften Hindernisses. Ein solches ist anzunehmen, wenn die Leistung (mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit) auch in Zukunft nicht mehr erbracht werden kann. In diesem Fall wird der Schuldner von seiner Leistungspflicht frei.
Solange es sich nicht um Fixgeschäfte handelt, wird COVID-19 jedoch kaum als Ursache eines dauerhaften Hindernisses argumentiert werden können. § 1447 ABGB hilft uns daher nur sehr eingeschränkt.
Fragen:
- Was ist, wenn – wie in den meisten Fällen zu erwarten – nur eine vorübergehende Einstellung der Leistungen bzw. eine zeitlich beschränkte Unterbrechung auf Basis von „höherer Gewalt“ bzw. „force majeure“ angezeigt wird,
- ab wann sprechen wir tatsächlich von „höherer Gewalt“, und
- wie gehen wir mit entsprechenden Anzeigen von Vertragspartnern (Kunden und Lieferanten) um?
Die Rechtsprechung erkennt in Bezug auf „höhere Gewalt“:
„Nur ein unabwendbares Elementarereignis bedeutet höhere Gewalt, sei es, dass es überhaupt nicht verhindert werden kann, sei es, dass es auch durch äußerste, den gegebenen Umständen angemessene Sorgfalt und durch dem Verantwortlichen zumutbare Mittel in seinem Eintritt oder in seinen Wirkungen auf den Schadensfall nicht hintangehalten werden kann.“ 6
Viel konkreter wurde der OGH in seiner Entscheidung 1 Ob 93/00:
„Höhere Gewalt ist dann anzunehmen, wenn ein außergewöhnliches Ereignis von außen einwirkt, das nicht in einer gewissen Regelmäßigkeit vorkommt bzw. zu erwarten ist und selbst durch äußerste zumutbare Sorgfalt weder abgewendet noch in seinen Folgen unschädlich gemacht werden kann. Unabwendbar ist aber auch jedes nicht außergewöhnliche Ereignis, das trotz aller erdenklichen Sachkunde und Vorsicht nicht abgewendet werden kann.“
Gemäß den Ausführungen der Internationalen Handelskammer („ICC“) handelt sich bei „höherer Gewalt“ um unvorhersehbare, unabwendbare Ereignisse, die außerhalb der Kontrolle der beteiligten Vertragsparteien liegen und die unter den jeweiligen Umständen auch durch angemessene sowie zumutbare Mittel nicht vermeidbar gewesen sind. Das Ziel dieser Bestimmung liegt darin, die betroffene Vertragspartei – ohne negative Konsequenzen – von ihrer Leistungsverpflichtung zu befreien (siehe hierzu auch die Ausführungen der ICC).
Zwischenfazit
Unzweifelhaft kann zusammengefasst werden, dass ein Fall „höherer Gewalt“ bzw. „force majeure“ folgender Voraussetzungen bedarf:
- Unvorhersehbarkeit des Ereignisses
- Unabwendbarkeit des Ereignisses
- außerhalb der Kontrolle einer der/beider Vertragsparteien
- Unmöglichkeit, trotz Einhaltung größtmöglicher – zumutbarer – Sorgfalt und Bemühung
Das Risiko der nunmehr in großem Stil versendeten und einlangenden „force majeure“-Anzeigen liegt insbesondere darin, dass die Maßnahmen der Regierungen und die Angst um die Gesundheit der Mitarbeiter (insbesondere auch die Reisewarnungen) als Universalerklärung für die Einstellung der Arbeiten verwendet werden. Ja, behördliche Maßnahmen, wie Quarantänemaßnahmen, Reiseverbote, etc. sind unvorhersehbar, unabwendbar und liegen außerhalb der Kontrolle von Unternehmen, ABER sie treffen nicht jedes Unternehmen in gleichem Ausmaß.
WICHTIG: Viele Unternehmen führen insbesondere die ausgesprochenen „Reisewarnungen“ als Grund für die Einstellung – meist grenzüberschreitender – Leistungen an. Reisewarnungen stellen jedoch per se noch keinen Grund „höherer Gewalt“ dar, sofern nicht zB der Vertragsgegenstand eine „Reise“ ist (vgl. hierzu 4 Ob 103/05h). Der OGH hat auch in dieser Entscheidung ausdrücklich darauf hingewiesen, dass bei der Frage, ob ein Fall „höherer Gewalt“ vorliegt oder nicht, der Einzelfall betrachtet werden muss. Meines Erachtens sind Montagdienstleistungen im Ausland daher durch die Verschärfung von Reisewarnungen nicht zwingend in Gefahr.
Tatsächlich hat die österreichische Regierung7 bislang kein generelles Arbeits- und Reiseverbot ausgesprochen. Es ist Unternehmen daher immer noch möglich, Arbeitnehmer in Werkstätten bzw. in der Produktion einzusetzen8. Die Einstellung der Produktion, die nicht aufgrund einer individuellen Anordnung (zB durch Bescheid) passiert oder allgemein verordnet (durch Verordnung) wurde, erfolgt daher ausschließlich auf eigenes Risiko. Es handelt sich hierbei um Entscheidungen und Maßnahmen, die (oftmals unbewusst) das eigene wirtschaftliche/unternehmerische Risiko betreffen. Insbesondere fehlt es hier an der „Unabwendbarkeit“ (immerhin hat man sich aus freien Stücken für die Einstellung entschieden) und der „zumutbaren Sorgfalt“ („pacta sunt servanda“ – Verträge sind bindend und auch in Krisenzeiten zu erfüllen; ein redlicher und sorgsamer Geschäftsmann erbringt seine vertraglichen Leistungen).
Im Vertrauen auf „höhere Gewalt“ bzw. „force majeure“ laufen Unternehmen daher (unbewusst) ins offene Messer und riskieren im besten Glauben (und dennoch vorsätzlich) entsprechende Haftungen.
Fazit
„Höhere Gewalt“ bzw. „force majeure“ liegt nur vor, wenn Ereignisse unvorhersehbar, unabwendbar sowie außerhalb des Einflussbereichs einer Vertragspartei sind und die betroffene Partei bis zur Unmöglichkeit die größtmögliche, zumutbare Sorgfalt zur Erfüllung des Vertrages aufgewendet hat.
Es empfiehlt sich, entsprechende Regelungen in den Verträgen zu suchen und zu bewerten oder (wenn derartige Bestimmungen fehlen) in Dokumente zukünftig aufzunehmen. Insbesondere sollten bei Verträgen, die jetzt abgeschlossen werden, entsprechende COVID-19-Auffang- und Schutzbestimmungen eingearbeitet und vereinbart werden (COVID-19 ist zum Zeitpunkt des Vertragsabschlusses nämlich nicht mehr unvorhersehbar!).
Bei Vorliegen von Anzeigen, die die Einstellung der vertraglich geschuldeten Leistungen betreffen, gilt es stets zu überprüfen (und nachzuweisen), dass die angezeigten – unvorhersehbaren – Gründe „höherer Gewalt“ bzw. „force majeure“ das anzeigende Unternehmen auch tatsächlich betreffen und in der Leistungserbringung derart beeinträchtigen, dass eine solche unmöglich ist. Zudem ist der Nachweis zu erbringen, dass jede zumutbare Sorgfalt aufgebracht wurde, um den Vertrag dennoch (durch alternative Lösungen) zu erfüllen.
Abschließend sei noch einmal gesagt, dass der Schlüssel (zu einem großen Teil) im Dialog liegt. Immerhin sitzen wir doch alle – in welcher Art und Weise auch immer – im selben Boot.
Bleiben Sie gesund.
- besonders erwähnen möchten wir hier Summereder Pichler RechtsanwaltsgmbH und LeitnerLaw
- Lesen Sie: Home Office im Krisenfall
- Lesen Sie: COVID-19 und der angeordnete Urlaub
- insbesondere im Zusammenhang mit der unverschuldeten Unmöglichkeit der Vertragserbringung; siehe § 1447 ABGB
- Das deutsche BGB sieht in § 275 vor, dass der Anspruch auf Leistung insofern ausgeschlossen ist, soweit dies für den Schuldner oder für jedermann unmöglich ist.
- RIS-Justiz RS0027309
- ebenso die deutsche Regierung im Moment;
- dies unter Einhaltung der entsprechenden Vorgaben; insbesondere unter Beachtung eines Mindestabstandes von 1 Meter;
5 Kommentare
TK
Zur Rechtslage in USA siehe auch § 2-615 Uniform Commercial Code
Die Autoren
Herzlichen Dank für diese wertvolle Ergänzung!
Philipp Stossier
Ausgezeichneter Artikel!
Anton Schneider
Gut zu wissen, dass es häufig keine vertraglichen Regelungen zur „force majeure“ gibt. Ich kann mir vorstellen, dass die Pandemie da für Unklarheiten geschaffen hat. Im besten Falle engagiert man wohl einen Rechtsanwalt fürs Vertragsrecht.
Irene Waltersdorfer
Die Beiziehung von Experten ist in jedem Fall eine gute Idee, wenn man sich unsicher ist!