Ehre, wem Ehre gebührt…
Bertold Brecht zufolge gilt „erst kommt das Fressen, dann die Moral“. Ist „fressen und gefressen werden“ die eigentliche Realität, in der wir uns als Unternehmensjuristen bewegen? Nein, natürlich nicht. Aber wie steht es bei Vertragsverhandlungen um Moral und Ethik?
Inhaltsverzeichnis
Die Erwartung im vorvertraglichen Stadium
Egal in welchem Business man sich als Unternehmensjurist bewegt, jeder arbeitet mit Vertragsmustern, Allgemeinen Geschäftsbedingungen und/oder ähnlichem. Es gehört zum üblichen Prozedere im vorvertraglichen Stadium, dass die (hoffentlich) zukünftigen Parteien ihre Vorstellungen eines – für sie idealen – Vertrages wechselseitig teilen. In der Regel erfolgt dies durch den Austausch bzw. durch die Übermittlung von Vertragsvorlagen. Diese werden von der jeweils anderen Partei geprüft, für gut befunden, kommentiert, abgeändert oder abgelehnt.
Im Zuge einer aktuellen Vertragsverhandlung über die Errichtung einer Industrieanlage erhielten wir unser Vertragsmuster – welches dem potenziellen Kunden zur Durchsicht und Stellungnahme übermittelt wurde – kommentiert und abgeändert retour. Derartiges hatten wir erwartet. Nur in den seltensten Fällen nimmt ein Kunde oder Lieferant unseren Vorschlag – ohne mit der Wimper zu zucken – an (es fehlt in diesen Fällen entweder an der Unterstützung eines Juristen, der Zeit, einen Vertrag zu verhandeln oder an der entsprechenden Verhandlungsmacht). Die Bearbeitung des Vertragsmusters erfolgte (zum Glück!) im Änderungsmodus, sodass beim Überfliegen des Textes bereits eine Vielzahl an Anpassungen bemerkbar waren. Bereits die ersten Änderungen in unserem Vertrag ließen jedoch böses erahnen. Die Forderungen des (plötzlich gar nicht mehr so potenziellen) Kunden wurden von Absatz zu Absatz und von Punkt zu Punkt (gefühlt) unverschämter und nahezu gruselig. Ein Mittagessen und einen Kaffee später folgte die Detailprüfung.
Die Realität im Spiegel
Unverhofft kommt oft. Bei genauerer Betrachtung stellten wir fest, dass die „ach so unverschämten“ Änderungen tatsächlich nicht unbekannt waren. Vielmehr handelte es sich hierbei um Auszüge aus unseren eigenen Allgemeinen Geschäftsbedingungen. Der Kunde hatte sich im Rahmen seiner Vertragsprüfung und -kommentierung unserer eigenen Bedingungen bedient. Die Vertragsprüfung war ihm offenbar lediglich ein „copy/paste“ wert. Es wurde sogar auf die erforderlichen Anpassungen in Bezug auf die Rechtsordnung verzichtet. Ein Vertrag, der nach deutschem Recht abgeschlossen werden soll (was schon ein Entgegenkommen darstellt), beinhaltet plötzlich einen Ausschluss der Untersuchungs- und Mängelrügepflicht nach §§ 377 und 378 UGB. Haben geistige Schöpfungen – wie Standardklauseln in Allgemeinen Geschäftsbedingungen – keinen Urheberschutz?
Der Vertrag im Licht des Urheberrechts
Gemäß §§ 1 f Urheberrechtsgesetz genießen Sprachwerke aller Art (als Form der Literatur) entsprechenden Schutz. Es mag sein, dass die Urheberschaft schon an der Voraussetzung der „Eigentümlichkeit“ scheitert, immerhin kann man dies bei Vertragsklauseln, die sich branchenweit ohnehin ähneln, nicht für sich in Anspruch nehmen. Analog lässt sich „Werke im Sinne des Urheberrechtes sind nur solche Gebilde, die sich als Ergebnisse geistigen Schaffens von der Masse alltäglicher Gebilde abheben“ 1 wohl auch auf Literatur anwenden. Wir gestehen ein, dass wir uns von dieser Idee ohnehin nicht viel erwartet hatten. Der Ursprung dieser Idee liegt schlichtweg in unserer ersten Emotion: Wut.
„Die wenigsten Argumente sind für das Hirn bestimmt.“ (Michael Richter)…in diesem Fall wahr.
Der Unternehmensjurist als Moralapostel
Die Verwendung „unserer“ Vertragsklauseln mag sohin rechtlich unbedenklich sein, doch bringt uns dieses Vorgehen zu unserem eigentlichen (wunden) Punkt. Die Moral. Unter Moral versteht man die Gesamtheit von ethisch-sittlichen Normen, Grundsätzen, Werten, die das zwischenmenschliche Verhalten einer Gesellschaft regulieren und die von dieser als verbindlich akzeptiert werden. 2
Ist es unter Unternehmensjuristen moralisch vertretbar, sich der Vertragsbedingungen des anderen Partners, die dieser gegenüber seinen Lieferanten ins Spiel bringt, zu bedienen oder ist das Lesen der Lieferantenbedingungen eine angemessene Vorbereitung und die Verwendung passender – jedoch fremder – Klauseln (als Entgegnung) keine Frage der Moral sondern schlicht juristische „Finesse“?
Fakt ist, dass einem durch derartiges Verhalten der Spiegel vorgehalten wird. In Wahrheit ist man nur selten mit eigenen Vorstellungen konfrontiert. Schadet der Blick in den Spiegel? Erachten wir plötzlich unsere eigenen Klauseln (und sohin unsere Vorstellungen, wie ein Vertrag auszusehen hat) als „unfair“, „unpassend“ und „frech“, dann stellt sich berechtigterweise die Frage, wie weit es um die eigene Moral im Umgang mit Vertragspartnern steht.
Tatsächlich schadet dieses Rollenspiel nicht. Es hilft, sich mit den eigenen Vorstellungen auseinander zu setzen und möglicherweise den Umgang mit Lieferanten zu überdenken. Natürlich werden die Vertragsbedingungen von Lieferanten nur in den seltensten Fällen 1:1 übernommen und gehen dem Vertrag entsprechende Verhandlungen voraus. Dennoch zeigen wir eine gewisse Grundhaltung. Das es auch besser geht, ist unbestritten. Worin liegt nun der Unterschied? Was ist mit dem Kollegen, der versucht, einen mit den eigenen „Waffen“ zu schlagen?
Was nicht passt, wird passend gemacht?
Der Unternehmensjurist, der auf der Gegenseite auf den Erfolg eines derartigen Zuges setzt, erhofft sich in der Regel ein entsprechendes „Schach/Matt“. Welches Argument sollte denn auch den Vorwurf entkräften können, dass man derartiges auch von seinen eigenen Lieferanten erwartet? Totschlagargument? Wohl kaum. Unserer Ansicht nach vergleicht der geschätzte Kollege Birnen mit Äpfeln.
Konkret werden ein Anlagenbauvertrag mit Bestimmungen aus Einkaufsbedingungen, zum Zukauf einzelner Gewerke, gleichgesetzt. Der Kollege verkennt, dass es sich hierbei um zwei völlig unterschiedliche Geschäftsbereiche – mit völlig unterschiedlichen Risiken – handelt. Die Bestimmungen der Einkaufsbedingungen passen naturgemäß nicht für die Komplexität einer Industrieanlage.
Die Verwendung der unpassenden Vertragsklauseln zeigt daher eine gewisse Geringschätzung des Vertragspartners uns gegenüber, sofern man ihm keine Unwissenheit unterstellen möchte. Aber allen ist bekannt, „Unwissenheit schützt vor [?] nicht…“. Moral ist keine Frage von Wissen.
Das unkollegiale und unter Unternehmensjuristen nicht vertretbare Verhalten erkennen wir darin, dass man sich nicht ernsthaft mit dem Vertragsentwurf auseinandergesetzt hat, dass man copy/paste den Vorzug vor ehrlicher Kommentierung gab, dass man es nicht der Mühe wert fand, Änderungen an die tatsächlichen Gegebenheiten anzupassen und dass man überhaupt in Verträgen des potenziellen Vertragspartners „fremd fischt“. All das hat mit „Wissen“ oder „Nichtwissen“ nichts zu tun.
Verhaltenskodex und das Standesrecht
Unternehmensjuristen kennen keinen allgemein gültigen Verhaltenskodex. Dennoch gibt es schon aus moralischen Gesichtspunkten entsprechende Spielregeln. Hierzu gehören unserer Meinung nach der faire, wohlwollende und ehrliche Austausch juristischer Meinungen. Wenngleich nicht normiert, lässt sich schon aus der vorvertraglichen Sorgfaltsverpflichtung die Verpflichtung zu respektvollem Umgang ableiten (auch wenn die Unternehmensjuristen nicht die eigentlichen Vertragsparteien sind).
Ferner halten wir fest, dass sich die Tätigkeiten von Unternehmensjuristen zu den Aufgaben von Anwälten nur in wenigen Punkten unterscheiden. Zudem wechseln viele Kollegen (so auch einer von uns beiden) vom Dasein als Anwalt in die „Privatwirtschaft“. Wie steht es daher – aufgrund der Ähnlichkeit der Tätigkeiten und der Vermischung der Berufe – um eine „analoge“ Anwendung entsprechender Benimmregeln?
Als Anwalt unterliegt man in Österreich gewissen Regeln. Das Standesrecht. Hierbei handelt es sich unter anderem (jedoch natürlich nicht abschließend) um Benimmregeln in der anwaltlichen Zusammenarbeit. Die Anwälte haben sich eigene Spielregeln auferlegt, nach denen sie sich zwingend verhalten müssen. Gemäß § 10 Abs 2 RAO (Rechtsanwaltsordnung) ist der Rechtsanwalt verpflichtet, durch Redlichkeit und Ehrenhaftigkeit in seinem Benehmen die Ehre und Würde des Standes zu wahren. Wechselseitiger Respekt und kollegiales Verhalten an der Front wird daher zwingend vorausgesetzt, mögen die Gräben noch so tief sein. Man kann von dieser Vorgabe und den diesbezüglichen Entscheidungen des Obersten Gerichtshofes (als letzte Disziplinarinstanz für Rechtsanwälte) halten was möchte. Für Anwälte ist jedoch gewiss, dass standesrechtswidriges Verhalten sanktioniert wird. Unkollegiales und respektloses Verhalten wird angezeigt und sanktioniert. Die Regeln gestalten das Spiel.
Wir behaupten, dass es auch in der Pflicht des Unternehmensjuristen – als rechtliches Gewissen eines Unternehmens und dessen Beratungs- und (möglicherweise) Vertretungs“organ“ – liegt, durch Redlichkeit und Ehrenhaftigkeit in seinem Benehmen die Ehre und Würde des Juristen-Standes zu wahren.
Unser Fazit
Copy/Paste hat in juristischer Praxis keinen Platz. Fairer und ehrlicher juristischer Austausch passiert wertschätzend und setzt ein Sich-mit-den-Vorstellungen-des-anderen-Auseinandersetzen voraus. Das „Fremdfischen“, Kopieren und die Verwendung der Vertragsklauseln des Vertragspartners gegen diesen selbst, widersprechen dem Grundsatz der Ehrenhaftigkeit und verfehlt derartiges Verhalten daher die Idee eines Verhandelns auf Augenhöhe.
Last but not least… es handelt sich hier um einen Einzelfall. Mit ruhigem Gewissen halten wir die Lanze für die Kollegenschaft hoch und bedanken uns für die stete Einhaltung eines nicht verschriftlichten Ehrenkodex durch die – mit uns bislang – verhandelnden Unternehmensjuristen.
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- Entscheidung des Obersten Gerichtshofes vom 04. November 1953, 3 Ob 403/53
- Vgl. https://www.duden.de/node/98984/revision/99020, download am 19.10.2019